Diskussionen lenken

Tierethik & Veganismus · June 6, 2021

Ich muss mal kurz noch eine meines Erachtens sehr wichtige Überlegung mit euch teilen, da ich den Fall gerade wieder hatte …
Ich hatte euch ja kürzlich detailliert dargelegt, warum der Veganismus für mich ein rein tierethisches Anliegen ist und warum ich sowohl das Umwelt- als auch das Gesundheitsargument für ethisch hochgradig bedenklich halte (siehe Das Gesundheits- und Umweltargument). Wer meine Argumente dort nachvollziehbar findet, steht nun vor einem Problem:

Man ist regelmäßig in der Situation, dass das Gegenüber nicht über Tierethisches reden will, sondern über gesundheitliche Aspekte, über Landwirtschaft, über die Umwelt, über die Welternährung, über Kultur und Tradition usw. Die Präferenz für diese Themen kann zwei Gründe haben: Das Gegenüber akzeptiert den (tier)ethischen Punkt bereits, hat aber noch offene Fragen – oder, was wahrscheinlicher ist, sie ist ein Zeichen dafür, dass die Person kein (großes) Interesse an dem tierethischen Blickwinkel hat.

In den Situationen, in denen die Person einfach nur noch offene Fragen hat, ist es selbstverständlich sinnvoll, diese auch zu beantworten. Das heißt: Wer sich Diskussionen stellen will, sollte hier auskunftsfähig sein. Aber nicht in dem Modus, dass mit Vorteilen gelockt wird, sondern es geht schlicht darum, die vorhandenen Sorgen zu nehmen. Das größere Problem sind diejenigen, die aus (weitgehender) Gleichgültigkeit Tieren gegenüber über andere Themen reden wollen.

Die Frage lautet also, wie man diese Leute argumentativ dazu bewegen kann, sich mit dem Thema zu beschäftigen, um das es dem Veganismus geht. Gibt es eine Möglichkeit, dem Gegenüber zu vermitteln, dass man die anderen Themen nicht bespricht, bevor der Aspekt Tierethik geklärt ist? Denn das ist das, was wir tun müssen, wenn wir endlich damit aufhören wollen, zu vermitteln, dass Tiere Opfer zweiter Klasse sind (siehe Das Gesundheits- und Umweltargument).

(Was daraus folgt, ist, dass ich keine Gespräche mit Antiveganern und Co. führe, die sich nicht zuerst ausschließlich um diese Frage drehen. Ich sage klipp und klar, dass man andere Themen gerne später besprechen kann, aber ich werte bis dahin jede Argumentation, die nicht rein tierethischen Charakter hat, als Versuch, das Gespräch zu entgleisen.) Welches Argument lässt sich also dafür formulieren, dass die ethische Betrachtung Vorrang hat?

Die Antwort ergibt sich aus der Betrachtung, wie wir die Ethik im Bereich des menschlichen Miteinanders verorten. Wir erwarten von Politikern, dass sie sich ethisch anständig verhalten, wir schimpfen über Firmen, wenn sie auf unethische Mittel setzen, wir diskutieren darüber, welche Forschung ethisch vertretbar ist, …
Wir akzeptieren nicht jede naturwissenschaftliche Forschung, weil sie naturwissenschaftliche Erkenntnisse verspricht, und wir akzeptieren nicht jede Geschäftsmethode, bloß weil sie Gewinne maximiert.

Ein Blick auf die Art und Weise, wie wir unsere Gesellschaft organisieren, offenbart, dass die Ethik zumindest prinzipiell kontrollierend über allem schwebt. Sie bestimmt, was die Forschung darf, sie prägt unsere Gesetze usw. Und das ist auch kein Wunder. Wir alle wollen gute Leben führen – und die Ethik ist nun einmal der Teilbereich der Philosophie, der sich um die Frage dreht, wie gutes Leben ermöglicht werden kann.

Wenn nun aber die Ethik kontrollierend über allem steht, was unser menschliches Miteinander ausmacht, dann kann nicht in Abrede gestellt werden, dass ihr auch die größte Bedeutung zuzusprechen ist. Da wir also im Humanbereich die Ethik voranstellen: Warum soll ausgerechnet hier nicht an erster Stelle geklärt werden, was auf prinzipieller Ebene ethisch geboten ist?

An dieser Stelle ist nun meines Erachtens jeder Fluchtweg versperrt. Das Gegenüber kann nur zwei Dinge tun:

  1. Es kann sich bereitwillig darauf einlassen, zuerst die Frage nach der Ethik zu klären. In diesem Fall bietet mein Artikel „Warum vegan?“ Hilfestellungen.
  2. Es kann behaupten, dass das bei Tieren etwas Anderes sei oder dass Tiere ihm/ihr ethisch einfach egal seien. In diesem Fall helfen der Artikel „Warum vegan?“ und der Artikel „Mir sind Tiere egal“ weiter.

Meiner Erfahrung nach lässt sich mit dem Verweis auf unsere Praxis im Humanbereich der Fokus auf die ethische Betrachtung erreichen. Ob es Reaktion 1 oder 2 ist, spielt dabei keine große Rolle. Man ist in beiden Fällen voll auf Linie und hat ein stabiles Fundament, um weitere Entgleisungsversuche abzuwehren, bis es legitim erscheint, andere Themen aufzugreifen.

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